Medico-legale Aspekte
Grundsätzliche Vorbehalte gegen Leitlinien entstehen aus der Unsicherheit über mögliche juristische Implikationen von Leitlinien und der Befürchtung einer unangemessenen Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Leitlinien primär keine Richtlinien sind, vielmehr ist ihre Anwendbarkeit in der individuellen Situation unter Berücksichtigung der vorliegenden Gegebenheiten, z. B. Begleiterkrankungen und individuellen Präferenzen des Patienten, zu prüfen.
Dem Urteil erfahrener Kliniker kommt daher auch weiterhin hohe Bedeutung zu. Auch können Leitlinien nicht unbesehen mit dem gebotenen berufsrechtlichen Standard gleichgesetzt werden. Unverändert ist für die Beurteilung der Angemessenheit ärztlicher Vorgehensweisen im Einzelfall ein Sachverständigen-gutachten unersetzlich.
Gleichwohl sind entsprechende Forderungen aus Kreisen von Politik und Rechtsprechung ernst zu nehmen, Leitlinienempfehlungen von hoher methodischer Qualität und nachgewiesenem Nutzen für die Versorgung in klinischen Entscheidungssituationen zu berücksichtigen und ggf. vollzogene Abweichungen zu begründen, wodurch de facto im Einzelfall Leitlinien durchaus das Potenzial beinhalten zu - auch justiziabel nutzbaren - Richtlinien zu permutieren.